Die gespaltene Haltung von Hubert Aiwanger und den Freien Wählern zur Corona-Politik

Die gespaltene Haltung von Hubert Aiwanger und den Freien Wählern zur Corona-Politik

12.09.2023 22:21

Die gespaltene Haltung von Hubert Aiwanger und den Freien Wählern zur Corona-Politik

Von Gastautor Carl Lang

Bei den alten Parteien weiß jeder, wie sie sich während der Corona-Zeit positioniert haben. In Bayern stand Söder während dieser Zeit so sehr im Vordergrund, dass vergessen wird, wie eifrig die Freien Wähler mit ihm in den Maßnahmenstaat marschiert sind – ohne Hubert Aiwanger.

Es ist absurd, einem Politiker wie Hubert Aiwanger Meinungen vorzuwerfen, die er vor 35 Jahren als Sechzehnjähriger vertreten oder nicht vertreten hat. Diese Angelegenheit sollte seit mindestens 30 Jahren verjährt sein.

Anders verhält es sich jedoch mit Handlungen, die noch nicht einmal zwei Jahre zurückliegen. Zur Erfrischung des Gedächtnisses empfiehlt es sich, die Pressemitteilung und den Corona-Dringlichkeitsantrag der Freien Wähler aus dem Winter 2021/2022 zu lesen. Das war – zur Erinnerung –, nachdem jeder Deutsche ein „Impfangebot” bekommen hatte und der einzige „Ausweg“ aus der „Pandemie” darin lag, das Virus endlich endemisch werden zu lassen. Deutschland hing der weltweiten Entwicklung nach, die schon längst auf Distanz gegangen war. Großbritannien feierte seinen „Freedom Day“ schon ein knappes halbes Jahr vor dieser Pressemitteilung.

Während man anderswo also längst wieder ein normales Leben führte oder – wie in Schweden – von vornherein nicht auf elementare Grundrechte verzichten musste, tremolierten die sogenannten Freien Wähler in bester Lauterbach-Manier: „Die neuerliche Corona-Eskalation in Bayern ist dramatisch und die nächsten Wochen werden brutal. Wir stehen an der Schwelle zur größten Katastrophe der Nachkriegszeit.“

Bayern stand also nach einem „Impfangebot“ für alle Bürger vor der „größten Katastrophe der Nachkriegszeit“. Generell ist es nicht die Stärke der Freien Wähler, Probleme ins Verhältnis zu setzen oder gar Kosten und Nutzen abzuwägen, denn sie wollten die „erneute Verschärfung der Maßnahmen“, weil „jedes Opfer dieser Pandemie eines zu viel ist“. Es gibt wenige Sätze, die so harmlos klingen und so gefährlich sind! Wenn jeder Verkehrstote einer zu viel ist, dann rechtfertigt das ein totales Verbot jeder Mobilität. Und wenn „jedes Opfer dieser Pandemie eines zu viel ist“, dann rechtfertigt das jede totalitäre Maßnahme, jede Einschränkung der Grundrechte, jede polizeistaatliche Gängelung.

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Die Freien Wähler wollten „Impfdurchbrüche unter Kontrolle“ bekommen, indem auch Geimpfte zu staatlich verordneten Tests, Masken und „Kontaktreduktionen“ gezwungen werden (sprich: Der Staat schreibt Dir vor, wen Du unter welchen Umständen treffen darfst). Man will „Impfdurchbrüche“ also dadurch verhindern, dass Geimpfte gar nicht erst mit dem Virus in Kontakt kommen, denn leider schützt die Impfung sonst nicht vor Infektion.

Gleichzeitig finden die Freien Wähler die Impfung aber so wunderbar, dass sie „es für legitim halten, dass wir die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht zumindest offen führen“. Solange es keine allgemeine Impfpflicht gibt, müssen Ungeimpfte wie in einem Apartheidsystem gesellschaftlich ausgegrenzt werden: „Mit den heutigen Beschlüssen im Landtag tritt unsere Bayernkoalition […] beherzt auf die Notbremse, um das Ruder mit voller Kraft herumzureißen. Dabei machen wir klar, dass Menschen, die ihren persönlichen Beitrag zur Krisenbewältigung durch Nichtimpfung verweigern, nicht länger als Trittbrettfahrer der Geimpften am öffentlichen Leben teilhaben können.“

Viel „öffentliches Leben“ verpassen die ungeimpften „Trittbrettfahrer“ allerdings nicht, denn die Freien Wähler wollten, dass bei einer hohen Inzidenz „Freizeit-, Sport- oder Kulturveranstaltungen nicht mehr erlaubt sind. Zudem müssen die Gastronomie, körpernahe Dienstleistungen, Beherbergungsstätten sowie Sport- und Kulturstätten schließen. Hochschulen dürfen ihre Vorlesungen und Seminare nur noch in digitaler Form anbieten. Für den Handel gilt dann eine Beschränkung auf eine Kundin bzw. einen Kunden pro 20 m².“

Auch ohne hohe Inzidenz galt in der Gastronomie eine Sperrstunde ab 22 Uhr und eine 2G-Regelung. Schankwirtschaften, Diskotheken und Clubs mussten ganz geschlossen bleiben und Weihnachts- oder Jahrmärkte mussten abgesagt werden. Jeder weiß ja, dass Corona nach 22 Uhr viel ansteckender ist als früher am Abend, und außerdem steckt man sich im Freien – so wie bei Weihnachts- und Jahrmärkten – besonders leicht an. Natürlich durften auch Kinder und Jugendliche nicht verschont werden: „In den Schulen gilt ein ausgeweitetes Testangebot und auch beim Indoor-Sport eine Maskenpflicht.“

Man könnte noch viele weitere Vorschriften, Einschränkungen und Verbote aus dieser Pressemitteilung und dem Dringlichkeitsantrag vom 23.11.2021 (Drucksache 18/19065) zitieren, um die Erinnerung an diese furchtbare Willkürherrschaft wachzurufen.

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Stattdessen zeigten die Freien Wähler in ihrem Regierungshandeln insgesamt ein totalitäres Staatsverständnis. Sie sehen es als Aufgabe der Regierung an, dem Bürger jedes Detail seines Privatlebens vorzuschreiben und dem Individuum keine Rechte, keine Freiheit und keine Eigenverantwortung mehr zu lassen. Es beeindruckte die Freien Wähler nicht, dass ihre drakonische Lockdown-Politik im Ländervergleich schon während der vorhergehenden „Wellen“ nichts bewirkte und die Ineffektivität ihrer oftmals schwachsinnigen Maßnahmen vielfach nachgewiesen war.

Die Freien Wähler befürworteten zu diesem Zeitpunkt noch eine endlose Fortsetzung dieses Autoritarismus, denn ein Impfangebot hatte längst jeder Bayer bekommen – es gab also kein Ereignis X mehr, auf das die Freien Wähler warteten, um dann endlich zur Rechtsstaatlichkeit zurückzufinden – abgesehen vielleicht von der gewünschten Zwangsimpfung aller Bürger, die ohnehin mehr oder weniger wirkungslos gewesen wäre und somit auch nichts am Fremdbestimmungswahn der Freien Wähler geändert hätte.

Die Freien Wähler waren außerdem – wiederum genau wie Lauterbach – nicht nur im postfaktischen, sondern auch im postlogischen Zeitalter angekommen: Die Geimpften mussten weiterhin Tests machen, Masken tragen, Abstand halten, oftmals ganz zuhause bleiben und durch 2G vor den Ungeimpften geschützt werden, weil die Impfung so gut schützt. Alles klar?

Übrigens machte Aiwanger während dieser Zeit im Vergleich zu seinen Parteikollegen einen durchaus akzeptablen Eindruck. Er war aber kein entschiedener Gegner dieser Maßnahmen und machte jeden Unfug mit, selbst, wenn er diesen offenkundig selbst nicht ganz verstand: „Wenn sechs bis acht Leute, jeder mit seinem Kumpel kommt, dann kann der sich natürlich jeweils mit seinem Kumpel, der seine Bezugsperson ist, an einen Tisch setzen. Und mit 1,50 Abstand sitzt der nächste Kumpel mit seinem Kumpel. Aber sie können nicht sechs mal zwei an einem Tisch sitzen, weil nicht mal die ersten Sechs an einem Tisch sitzen dürfen. (…) Und zu den anderen ist jeweils 1,50 Abstand zu halten. Wenn der Tisch irgendwo 15 Meter lang ist und dann im Abstand von 1,50 immer die Pärchen gegenüber sitzen.“ Da bleiben keine Fragen offen.

Während der Corona-Debatte trugen die Freien Wähler in Bayern die Einschränkungsmaßnahmen einerseits mit. Zum anderen gehörte FW-Chef Hubert Aiwanger zu den wenigen politischen Figuren, die Ungeimpfte in Schutz nahmen – auch durch sein eigenes Beispiel. Denn er gab öffentlich bekannt, er sei nicht geimpft. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl, im Juni 2021, spitzte sich der Streit mit Ministerpräsident Markus Söder zu, der Impfen zum „Weg in die Freiheit“ erklärte – was praktisch bedeutete, dass die Freiheit der Ungeimpften beschnitten werden sollte. Vor laufenden Kameras drängte Söder seinen Vize damals: „Vielleicht sagst Du einfach selber was dazu, warum Du Dich nicht impfen lassen willst.“ Das, so Aiwanger, sei eine private Entscheidung. Damit wurde er zur Identifikationsfigur für alle, die das auch so sahen. Der Hashtag #IchBinAiwanger eroberte damals zeitweilig Platz eins der Twitter-Trends.

Der FW-Vorsitzende forderte „Verständnis für die derzeit noch 20 bis 30 Prozent, die noch nicht geimpft sind“. Sie dürften nicht stigmatisiert werden.

Darin, dass Aiwanger sich nach der Bundestagswahl doch impfen ließ, sahen viele einen Akt des Opportunismus, wenigstens aber der FW-typischen Ambivalenz. Möglicherweise spielte tatsächlich Wahltaktik eine Rolle für Aiwangers Position, wahrscheinlich wollte er sich auch nicht öffentlich zu etwas drängen lassen. Aber die Tatsache bleibt: Er stärkte im Herbst 2021 alle, die das Impfen für eine Privatsache hielten, und riskierte dafür auch einen Konflikt mit Söder und der CSU.

Bayern war zusammen mit Hamburg während der Corona-Zeit die bürgerrechtsfeindlichste Region in Deutschland. Die Freien Wähler und die CSU haben sich nie für diese Politik entschuldigt und sie haben bis heute keine Anstalten gemacht, ihrer Macht gesetzliche Grenzen zu setzen, um einem zukünftigen Rückfall in diesen Autoritarismus entgegenzuwirken. Sie lieben diese Macht und wollen sie – wenn die Gelegenheit sich bietet – auch weiter ausüben.

Anstatt sich mit Nichtigkeiten von vor 35 Jahren abzulenken, sollten Medien und Bürger sich mit dem Regierungshandeln von vor zwei Jahren beschäftigen.[b]

Carl Lang betätigt sich nach einem Studium der Literaturwissenschaft, Linguistik und Philosophie als Essayist und Liedtexter. Er fühlt sich keinem politischen Lager zugehörig und interessiert sich besonders für Moralphilosophie und Religionskritik.

Quelle: https://www.tichyseinblick.de/gastbeitra...C1_NX9SikniTb0Y


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