30 Jahre Gößweinsteiner Nachtwächter – Endlich wieder historische Nachtwächterrundgänge
Von Thomas Weichert
GÖSSWEINSTEIN
„Das wollten wir schon immer mal machen“, sagte Regina Lindner aus Pfaffenhofen an der Ilm die mit ihrem Mann gerade in Kleingesee Urlaub macht. Die Rede ist von dem historischen Nachtwächterrundgang in Gößweinstein der nach fast zwei Jahren coronabedingter Pause am Wochenende erstmals wieder stattfinden konnte.
Der Gößweinsteiner Nachtwächter bei seinem ersten Auftritt nach der pandemiebedingten Coronause. Foto: Thomas Weichert
Entsprechend groß war auch die Freude beim Gößweinsteiner Nachtwächter Manfred Heckel dass seine Führungen endlich wieder stattfinden können. Wenn auch die Teilnehmerzahl wegen Corona noch auf 25 Personen beschränkt ist. Aber so viele kommen am Anfang der Saison meist ohnehin nicht, Bei der ersten Führung am Freitagabend, die pünktlich um 20.30 Uhr am einstigen Ostturm der Stadtmauer am Haus des Gastes startete, waren es gerade einmal fünf Teilnehmer, obwohl doppelt so viele über das Tourismusbüro angemeldet waren. Eine Anmeldung ist Voraussetzung für die Teilnahme und man bekommt dann auch ein Ticket das pro Person 6 Euro kostet. Dafür wird eine etwa eineinhalbstündige Führung durch den historischen Ortskern geboten bei der die Gäste nicht nur Wissenswertes über die Geschichte von Gößweinstein erfahren, sondern auch die Reime des Nachtwächters und seine flotten Sprüche erleben. Zum Beispiel wie diesen: „Im Frankenland da gibt es viele schöne Städtchen und darinnen schöne Mädchen. Doch auch die Männer sind nicht schlecht, man sieht`s am mir, hab` ich nicht recht !“ Der 77-jährige Kunstschmiedemeister ist mit seinem Rauschebart, dem Nachtwächterumhang, dem Ritterhelm, der Hellebarde und seiner großen Laterne in der Tat eine imposante Erscheinung die zu früheren Zeiten sicherlich schon alleine von der Gestalt her so manchen Schurken in die Flucht geschlagen hätte. Außerdem hat er noch ein originales Horn dabei dessen Klänge Alarm geschlagen hätten. Das es gar nicht so leicht ist aus so einem Horn einen Ton zu erwecken, darf Regina Lindner selbst ausprobieren. Mit dabei ist auch ein Ehepaar aus Regensburg, die in der Zeitschrift „Liebes Land“ einen Artikel über den Gößweinsteiner Nachtwächter gelesen hatten und deshalb extra zur Nachtwächterführung gekommen waren. Heckels Rundgänge sind immer anders, ganz individuell gestaltet nach den Wünschen der Teilnehmer. „Wollt ihr viele Zahlen aus der Geschichte hören, oder eher weniger“, fragt Heckel. Die Teilnehmer am Freitagabend entschieden sich für ein Mittelmaß an geschichtlichen Daten. So erfährt man zum Beispiel das Gößweinstein seit 1634 das Marktrecht hat und deshalb noch heute mindestens vier Jahrmärkte abgehalten werden müssen, um es behalten zu können. Oder das Gößweinstein eine Stadtmauer hatte, mit drei Toren. Teile davon sind noch heute erhalten. Oder dass das heutige Haus des Gastes einst die Sommerresidenz der Grafen von Schönborn war und der heutige Gasthof Stern den Grafen von Egglofstein gehörte. Oder dass es in Gößweinstein neben dem Nachtwächter einen „Schmuser“ gab. Der letzte fest angestellte Nachtwächter der 1905 in den Ruhestand ging 1900 war Johann Laugner dem Anna Schrüfer das Gößweinsteiner Nachtwächterlied geschrieben hat, das Heckel noch heute am Neujahrstag singt. Der Rundgang mit fünf Stationen ist immer gleich. Franziskanerkloster, Basilika, Marktplatz, ehemaliges Zehnthaus und Burgweg. Heckel verkörpert vor allem als touristische Attraktion seit 1991 den Gößweinsteiner Nachtwächter. Dies hat er dem verstorbenen Bürgermeister Hans Backer zu verdanken nachdem er beim Gößweinsteiner Weihnachtsmarkt im Jahre 1990 zur Freude der Kinder den Nikolaus mimte. Hans Backer kam dabei auf die Idee, dass man die Tradition des Gößweinsteiner Nachtwächters wieder zum Leben erwecken könnte. Das Gößweinstein nicht nur einen Nikolaus, sondern auch einen Nachtwächter sucht, erwähnte Backer nur nebenbei. Als Heckel dann am nächsten Tag in der Zeitung las, das Gößweinstein mit ihm auch wieder einen Nachtwächter habe, rief er verwundert bei Backer an. Dieser antwortete ihm nur: „Ich habe mir gedacht, du machst das schon.“ Und Heckel machte es. Sein erster Auftritt als Gößweinsteiner Nachtwächter war dann im Frühjahr 1991, also vor 30 Jahren. Zwei Jahre später trat er der Europäischen Nachtwächer- und Türmerzunft bei, was er seinem Freund Kurt Konrad Knippschild aus Gräfenberg zu verdanken hatte, der fast bis zu seinem Tod den Forchheimer Nachtwächter gab. Seitdem führt Heckel auch Knippschilds Erbe fort und tritt als Nachtwächter alljährlich auch beim Forchheimer Weihnachtsmarkt auf. Die beiden Männer verband eine enge Freundschaft und Knippschild war sein Bürge bei der Zunft, in die man sonst nicht aufgenommen wird. Außerdem tritt Heckel seit vielen Jahren auch beim Fürther Altstadtweihnachtsmarkt auf. Bei schätzungsweise 1500 Rundgängen hat Heckel alleine in Gößweinstein bis heute etwa 10 000 Gäste durch den Ort geführt und ihnen die Geschichte erklärt. Heckel ist auch der einzige Nachtwächter in ganz Europa, der einen echten Ritterhelm trägt und einen so langen weißen Bart hat wie der Nikolaus persönlich. Heckel ist auch der einzige Nachtwächter in der Region, der der Zunft angehört. Offiziell ist der Markt Gößweinstein auch Mitgliedsort der Europäischen Nachtwächter- und Türmerzunft. Mehr als 3000 Verse hat er in diesen 30 Jahren selbst geschrieben. Höhepunkt seines Nachtwächterlebens war das große Zunfttreffen im Jahr 2000 in Kooperation mit Forchheim. „Wenn Gott es will und ich gesund bleibe , will 2024 noch einmal ein kleineres Nachtwächtertreffen in Gößweinstein mit ausgewählten Zunftmitgliedern aus ganz Europa organisieren“, sagt Heckel der dann 80 Jahre alt wird. Mit 80 will er dann auch als Gößweinsteiner Nachtwächter in Pension gehen. Ein Nachfolger ist bis jetzt leider noch nicht in Sicht.
Info:
Die Europäische Nachtwächter- und Türmerzunft wurde 1987 im dänischen Ebeltoft gegründet. Ihr gehören 63 Orte mit 157 Nachtwächtern und Türmern aus ganz Europa an. Von den 157 Nachtwächtern und Türmern sind 20 passiv. Die 137 Aktiven teilen sich auf in 114 Nachtwächter und 23 Türmer. Sie kommen aus Dänemark, Polen, England, Niederlande, Frankreich, Schweiz, Österreich, Tschechien, und Deutschland. Wie es in der Satzung heißt, pflegt die Zunft die Tradition und das Brauchtum der Nachtwächter und Türmer. Ein weiteres Ziel ist die Pflege und Förderung der Verbindung zwischen den Heimatorten und den europäischen Ländern. Die Zunft bemüht sich um die Erhaltung und Verbreitung des Volksgutes der Nachtwächter und Türmer. Höhepunkt eines jeden Jahres ist das Europäische Nachtwächter- und Türmerzunfttreffen im Heimatort eines Mitgliedes. Das Treffen findet immer auf Christi Himmelfahrt statt.