„Etwas wagen, etwas sagen.“ Diesen Spruch hat mein 7jähriger Sohn kürzlich inkl. einem „Mut-Stein“ geschenkt bekommen!
Gestern hat Eventim etwas gesagt und nach einem großen Shitstorm versucht zurückzurudern und die Aussage zu relativieren, auch wenn sie im Grunde dasselbe aussagt: Veranstaltungen sollen zukünftig nur noch für geimpfte Personen möglich sein. Das, was von allen Politikern bis vor ein paar Wochen vehement abgestritten wurde, wird kommen: eine indirekte Impfpflicht. Freizeit, Kultur, Urlaub – nur noch mit Impfung.
Ich bin absolut kein Corona- oder Impfgegner und verharmlose die Pandemie keinesfalls. Natürlich möchte niemand von uns daran erkranken und noch weniger jemanden damit anstecken. Auch halte ich die AHA-Regeln & Co. für richtig. Nichts desto trotz bin ich der Meinung, dass wir alle in der Lage sind, selber zu entscheiden, ob wir uns impfen lassen oder nicht. Jeder von uns hat dazu seine eigene Meinung, seine eigenen Erfahrungen und Ängste. Und gerade deswegen sollte man doch die Meinung des anderen auch akzeptieren.
Nachdem ich vor 2 Tagen das 6-Stufen-Modell des Landes Niedersachsen gesehen habe hätte ich heulen können. Vielleicht war es naiv von mir zu glauben, dass sich im Laufe des Jahres alles wieder halbwegs normalisieren könnte. Und sicher muss man die Beschlüsse der Bundesregierung in der nächsten Woche abwarten wie auch die weitere Pandemie-Entwicklung.
Der Plan des Landes Niedersachsen besagt u.a., dass noch lange Zeit vieles im Bereich Kultur & Freizeit nicht möglich sein wird (egal, ob Schwimmbad, Fußball, Flohmarkt, Kino, Konzert, Theater etc.). Selbst in der „besten Stufe“ (Inzidenz <10, sprich: 9 oder weniger Erkrankte auf 100.000) sind keine Veranstaltungen, wie bisher gewohnt, erlaubt: Großveranstaltungen mit einer maximalen Belegung von 30%. Da frage ich mich, ab wann haben wir denn auch die „beste Stufe“ überstanden und wann wird die gewohnte Normalität zurückkehren? 2022? 2023?
Und ja, es gibt sicher wichtigere Probleme, die auch mir große Sorgen bereiten: Was passiert mit unseren Kindern? Erst heute wieder habe ich einen Bericht gelesen, dass die Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern schon jetzt stark gestiegen sind und dass die soziale Abgeschiedenheit, die Überforderung der Eltern und der gestiegene Medienkonsum sein Übriges tun. Die Familien-Beratungsstellen waren auch schon vor der Pandemie stark überlaufen mit Wartezeiten von bis zu einem Jahr.
So viele Menschen benötigen Hilfe aufgrund von chronischen Krankheiten, Depressionen oder Suchterkrankungen, die sie jetzt nicht – oder allenfalls sehr stark eingeschränkt – erhalten. Was macht das mit deren Leben und auch deren Familien? Wenn ich mir anschaue, dass in Altenheimen zeitweise kein Besuch oder max. eine feste Bezugsperson kommen darf, dann gruselt es mich gewaltig. Es werden vom Bund Milliarden verabschiedet und es ist nicht möglich, eine Lösung zu finden, damit alte Menschen weiterhin ein würdiges Leben erleben können - auch trotz Pandemie?
Wie kann es sein, dass in einem demokratischen Industrieland wie Deutschland Menschen in Krankenhäusern einsam sterben und die Verwandten nicht bei ihnen sein dürfen? Ich mag nicht darüber nachdenken, wie grausam es für alle Beteiligten sein muss. Pandemie hin oder her, hierfür hätten längst Lösungen gefunden werden müssen und können!
Und gerade deswegen glaube ich auch, dass ein soziales Leben (wenn auch eingeschränkt und mit Vorgaben) für unsere Psyche und unser Wohlbefinden unglaublich wichtig ist, auch im Hinblick auf die Vermeidung bzw. Eindämmung von Folgeschäden, im Speziellen für unsere Kinder. Und Kultur spielte bisher für die allermeisten Menschen – bewusst oder unbewusst – eine große Rolle: ob es ein Besuch mit Freunden im Kino war, der Einkauf auf dem Flohmarkt, ein Museums-, Konzert-, Musical oder Theaterbesuch, das Abendprogramm in einem Hotel auf Mallorca, eine Schulaufführung der Kinder, das gemeinsame Singen in Chören, Tanzen etc.
Oder einfach zuhause die Musik laut auf zu drehen, während man die Wohnung putzt oder sich von einem anstrengenden Arbeitstag erholen möchte, die Entspannungsmusik beim Yoga, die Partymusik in der Disko, das Gemeinschaftsgefühl bei „We never walk alone“ im Fußballstadion… Kultur ist so vielfältig und ohne diese wäre unser Leben auf Dauer sehr trostlos.
Während ich vorgestern im MRT lag und mit meiner Platzangst zu kämpfen hatte, habe ich dankbar an die vielen schönen Veranstaltungen gedacht, die ich in meinem Leben besuchen durfte und war froh über die Hintergrund-Musik auf den Kopfhörern, die doch etwas Beruhigendes hatte.
Und auch das ist Kultur.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bin der Überzeugung, dass bei gesunkenen Inzidenzzahlen und entsprechendem Hygienekonzept sehr wohl Veranstaltungen sicher stattfinden könnten und viele Menschen von dem Besuch wieder eine ganze Zeit lang zehren würden. Sicherlich muss es Anpassungen geben, aber ich denke Künstler, Techniker, Caterer, Veranstalter, Locations & Co. wären alle dazu bereit.
Und auch wenn es widersprüchlich klingt bin ich trotzdem der Meinung, dass es jedem zuzutrauen sein sollte, für sich zu entscheiden, ob er sich impfen lässt oder nicht. Die Entscheidung für eine Impfung sollte in jedem Fall aus Überzeugung kommen, nicht aber aus Zwang, weil man ansonsten vom sozialen Leben weiterhin ausgeschlossen bleibt. Das ist meiner Ansicht nach der falsche Weg und schlimmer als eine generelle Impfpflicht. Zumal der jetzige Zeitpunkt, in dem viele Fragen zum Impfstoff und zum Impfzeitplan noch offen sind, mehr als unglücklich ist und die Gesellschaft weiter spaltet.
Mich wundert, dass sich in den letzten Monaten so wenige (prominente) Menschen geäußert haben. So habe ich mich über den Post von Marlene Lufen gefreut, die einmal die sozialen Komponenten des Lockdowns in Zahlen zusammengefasst hat. Oder über NENA, die weiterhin alle Besucher auf ihren Konzerten willkommen heißen möchte, egal ob geimpft oder nicht. Über die Berichterstattung von z.B. Stern TV oder Markus Lanz, die gerne mal kritisch verschiedene Aussagen beleuchtet haben, dabei aber verschiedene Personen mit unterschiedlichsten Ansichten zu Wort haben kommen lassen.
Und by the way danke an Minister Grant Hendrik Tonne, dass zumindest die Grundschulen in Niedersachsen wieder im Wechselmodell geöffnet sind – ein Segen für die Kinder. Ich jedenfalls freue mich auf alles, was an Kultur noch kommen wird. Meine Planungen für 2021 stehen, eine sehr naive Resthoffnung bleibt. Und ansonsten geht es 2022 weiter. Oder 2023. Oder… aber es wird weitergehen! Bis dahin, liebe Grüße & alles Gute für Euch!
Ich würde mich über Eure Meinungen zu dem Thema sehr freuen!
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