Viele Soldaten aus der Fränkischen kämpften für Napoleon in Rußland
Von Thomas Weichert
FRÄNKISCHE SCHWEIZ
Wer erinnert sich noch an den ZDF-Vierteiler "Krieg und Frieden" nach dem Roman von Leo Tolstoi der im Jahre 2008 lief. Der Film erzählt vom Napoleonfeldzug gegen Russland im Jahre 1812. Was der Film nicht erzählte: Viele junge Männer aus der Fränkischen Schweiz zogen in die Schlachten bei Polozk, Borodino, Beresina und Moskau. Die meisten kehrten nie zurück und verbluteten auf dem Schlachtfeld
Viele Soldaten aus der Fränkischen Schweiz fielen in Borodin. Repro: Thomas Weichert
Unter den bayerischen Soldaten war auch der Urahn von Helmut Wunder, dem Waischenfelder Stadthistoriker. Georg Franz Wunder aus Hannberg diente beim 9. Königlich Bayerischen Infanterieregiment als Fourier (eine Art Versorgungs-Unteroffizier), später als Rechnungsführer und Regimentsquartiermeister.
Durch seine Familienforschung ist Helmut Wunder auf seinen Urahn gestoßen, der der Bruder seines eigenen Ur-Ur-Ur-Großvaters Joseph Wunder war. In alten Urkunden ist festgehalten, dass der Vorfahre 1808 beim 9. Bayerischen Infanterieregiment in Bamberg als Fourierpraktikant eintrat. Er war bereits beim Feldzug gegen Österreich im Jahre 1809 dabei. In der Aufzeichnung des Kriegsarchivs heißt es, dass er dabei «von den Tirolern im Engpass blessiert wurde».
In Gefangenschaft genommen
Helmut Wunder hatte Glück, denn verschiedene handschriftliche Aufzeichnungen seiner Vorfahren sind erhalten geblieben. So berichtete Franz Wunders Bruder Friedrich, Bamberger Domkapitular, der fast Bischof geworden wäre, dass sein Bruder 1812 in russische Gefangenschaft in Sibirien geraten war.
"Damals", so Helmut Wunder, "bezeichnete man offenbar schon die Gegend um Moskau als Sibirien." Sein Urahn hatte also mehr als Glück, denn wie er herausgefunden habe, ist kein einziger Soldat aus der Fränkischen Schweiz wieder heimgekehrt.
Der historische Hintergrund: Am 2. Dezember 1805 besiegt Napoleon (1769 bis 1821) die alliierten Russen und Österreicher bei Austerlitz, worauf er in Preßburg jenen Frieden diktiert, bei dem Österreich Tirol an Bayern verliert.
1812 startet er den Russlandfeldzug mit fast 675 000 Mann. General Kutuzow stellt sich zwar bei Borodino zur Schlacht, lockt Napoleon aber ins brennende Moskau. Mit Napoleons Rückzug über die Beresina zerfällt die Grande Armée: Nur 18 000 napoleonische Soldaten kehren über die Memel nach Preußen zurück. 1813 vernichtet die Völkerschlacht bei Leipzig Bonapartes Großmacht-Träume endgültig.
Bei seinen Forschungen fand Helmut Wunder die Originale der Aufstellung des 9. Infanterieregiments im Staatsarchiv Bamberg wieder. Losmarschiert waren die Soldaten aus der Gegend von Bayreuth am 9. März 1812 über Dresden und Posen in ein Lager bei Czerniewo und von dort weiter über Kutno nach Polozk. Am 17. und 18. August 1812 war das Regiment mit 1600 Gewehren unter dem Kommando der ersten Brigade an der Schlacht bei Polozk an der Weichsel beteiligt. Die Verluste unter den Unteroffizieren und Mannschaften in dieser Schlacht sind nicht zu ermitteln, sie starben meist an Krankheit, Hunger und Kälte.
Am 30. September 1812 wurde Oberst Friedrich Freiherr von Treuberg zum Oberstkommandanten ernannt. Am 24. Oktober 1812 war das Regiment nur noch zwei Kompanien stark, insgesamt 167 Mann. Zudem gingen alle Fahnen des Regiments verloren.
In der Regimentsführung
Nach den Regimentsaufstellungen, die der Historiker Wunder entdeckte, gehörte sein Urahn Franz Wunder als Fourier der Regimentsführung an. Angeführt wurde seine Abteilung von Capitain Wilhelm von Guttenberg-Steinhausen aus Bayreuth. Weitere Offiziere waren unter anderem Oberleutnant Carl Winter aus Heidelberg, Unterleutnant Baptist von Blücher aus Lißberg bei Bamberg, Feldwebel Franz Buckreuß aus Bamberg, die Sergeanten Franz Vogel (Bamberg) und Georg Meßbacher (Forchheim) sowie die Corporale Friedrich Horn (Bamberg) und Peter Schwager (Zapfendorf).
Auch die Musterliste der Mannschaften aus dem Jahr 1811 offenbart, dass viele junge Männer aus der Fränkischen Schweiz in den Krieg Napoleons mitzogen. Zum Beispiel der gerade erst 18 Jahre alte Peter Endres aus Oberailsfeld, der 28-jährige Johann Mendel aus Trockau, der 20-jährige Johann Wunder aus Köttweinsdorf oder der ebenso alte Andreas Rudrof aus Saugendorf.
Aus Betzenstein kam der damals 35 Jahre alte Oberleutnant Karl von Oelhafen, Hauptmann Josef Zitzmann stammte aus Pottenstein, die Soldaten Andreas und Adam Wunder, Johann Fuchs, Matthes Scherl, Karl Bauer, Peter Hofknecht und Bartholomäus Weschenfelder aus Waischenfeld. Auch Johann Wiegärtner aus Kühlenfels, Lorenz Schmitt aus Kleinlesau, Johann Nuisinano aus Hollfeld, Johann Grau aus Eichenbirkig, Johann Looßner aus Tiefenlesau und Johann Heinlein aus Geschwand kämpften mit.
Noch weiter ließe sich diese Liste meist blutjunger Infanteristen aus der Gegend fortsetzten. Ihr Leben endete meist grausam: Entweder verbluteten sie auf den Eisfeldern Russlands, sie verhungerten oder starben an Seuchen. In Kirchenbüchern hat Wunder auch entdeckt, dass mit dem Russlandfeldzug auch die daheimgebliebenen Familien der Soldaten schwere Schicksalsschläge hinnehmen mussten. Viele junge Mütter wurden Witwen, die Kinder Halbwaisen.
Nach 34 Jahren pensioniert
Und was geschah mit Georg Franz Wunder? 1814 kehrte er aus der russischen Gefangenschaft heim. Am 29. November 1838 wurde der verdiente Soldat schließlich zum Regimentsquartiermeister befördert. Pensioniert wurde er nach 34 Dienstjahren am 2. Juni 1843. Franz Wunder war einer der wenigen, die nach dem Napoleonfeldzug aus Russland wieder heimkehrten.
Als er 1857 starb, war er ein reicher Mann. Noch zu Lebzeiten gründete er mehrere Stiftungen mit Einlagen von insgesamt 1800 Gulden. Seine Fond-Joseph-Stiftung für gebrechliche Arme gibt es noch heute. Weitere Gelder seines Vermögens flossen in Militärstiftungsfonds oder in das Dr.-Hauer-Kinderspital.
Sein Bruder, der Domkapitular, setzte ihn in seinem Testament jedoch als Alleinerbe ein: Er hielt ihn für den finanziell Schwächsten in der Familie.