Die Kirchengeschichte von Lindenhardt von Pfarrer Italo Bacigalupo
Von Thomas Weichert
LINDENHARDT in der Fränkischen Schweiz
Traditionsreiche Pfarrbezirke verlieren immer mehr an Kontur, sowohl in der horizontalen Richtung ihrer Ausdehnung wie gleichermaßen in der vertikalen Richtung ihrer Geschichte. Am Ende bleiben als Erinnerungsstücke Kirche und Friedhof. Zwischen diesen beiden Polen war das Leben von einst ja tatsächlich eingespannt. Trotz solcher Endzeitbilanz ist nun gerade das höchst anregende Büchlein „LINDENHARDT - Licht und Schatten bei der Kirche im Lindenhain“, Bischof Ottos Marienheiligtum als mittelalterlicher Klosterbesitz und neuzeitlicher Kultort erschienen.
Sein Verfasser, der evangelische Pfarrer Italo Bacigalupo, der dort über neun Jahre auf der Kanzel stand und in der noch computerlosen Zeit auch viel profane Textarbeit zu verrichten hatte, verspürte daneben ein großes Interesse für die geschichtlichen Geheimnisse seiner Kirchengemeinde.
Das als 23. Buch in der historischen Schriftenreihe des Fränkische Schweiz Vereins erschienene Werk von Bacigalupo taucht tief ein ins Mittelalter ein, um auf den letzten Salierkaiser Heinrich V., Pfalzgraf Otto, den ersten »Wittelsbacher«, und den großen Bischof Otto I. von Bamberg zu stoßen. Diese Granden im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts begünstigten die jenseits des „Creußener Waldes“, der ausgedehnt und wild war, und noch zwei Tagesetappen weiter in südöstlicher Richtung in Ensdorf im Tal der Vils ansässig gewordenen Benediktiner.
Sie ermöglichten ihrem Konvent auch auf der Bamberger Seite der Wildnis die Gründung und Ausstattung einer Pfarrei Lindenhardt mit Grundbesitz und Zehntrechten. Der Autor, der die einzelnen Aspekte dieses Abschnitts der hochmittelalterlichen Ostkolonisation in zwei größeren Aufsätzen im „Archiv für Geschichte von Oberfranken“ 2011 und 2012 darstellen konnte, sucht jetzt gewissermaßen im dritten Teil bei seiner ‚Kirche im Lindenhain‘ nach den lokalen Rittern, die der neuen, noch instabilen Pfarrei Schutz und Schirm zu gewähren in der Lage waren.
Diese fanden sich auch ein. Anfangs des 14. Jahrhunderts erscheinen die Groß von Trockau, welche sich gleich die Lindenhardter Pfarrkirche St. Marien zu ihrer standesgemäßen Grablege erwählten. Um 1400 wurde sogar das ganze königlich-böhmische Marktdorf einmal für kurze Zeit Groß-von-Trockauischer Pfandbesitz. Der im Aufstieg begriffene Burggraf von Nürnberg Johann III. nutzte aber umgehend die zu Grunde liegende permanente Zahlungsunfähigkeit des Böhmen- und Römischen Königs Wenzel zur Auslösung des Pfandes für eigene Rechnung. Bei den Hohenzollern ist Lindenhardt von da an verblieben.
Wie Bacigalupo zeigt, hatten sich die Ritter Groß innerhalb ihrer Burg bereits im Verlauf des 14. Jahrhunderts praktisch eine Filialkirche mit regelmäßigen Messen an jedem zweiten Tag unter der Woche sowie an den Feiertagen geschaffen. Obwohl die Abmachungen zu keiner Zeit vom zuständigen Bamberger Bischof bestätigt wurden, nahmen die aus Ensdorf als Pfarrer nach Lindenhardt entsandten Mönche, unter ihnen mehrere gewesene Äbte, diesen Dienst gern auf sich, blieb er doch nicht unhonoriert. Sie konnten sich dadurch einen Kaplan halten, dem sie die Spezialaufgabe übertrugen.
Spannend wird es wiederum in der Reformationszeit, als die Einflüsse aus dem nahen Hauptort Bayreuth, der mit dem ganzen brandenburgischen Fürstentum lutherisch geworden war, und aus dem nunmehr staatsgelenkten ehemaligen Kloster Ensdorf auf den jeweiligen Pfarrer durchschlugen. In der wittelsbachischen Oberpfalz, wo die Staatsreligion je nach dem Regenten bis in die Anfangsjahre des 30-jährigen Krieges zwischen Luthertum und Kalvinismus hart umkämpft war, beharrte man auf Lindenhardt als Klosterbesitz. Noch Mitte des 17. Jahrhunderts sollte dieses Argument auf dem Weg über den ausgesuchten und belehnten Pfarrer die Konfession der Gemeinde steuern, jetzt zu Gunsten des Katholizismus, was aber schließlich der Markgraf durch wiederholte Drohgebärden unterband.
Sehr anschaulich gelingt es Bacigalupo hier, die gar nicht zimperlichen Methoden vorzuführen, mit denen die Religionsparteien dem jeweiligen Gegner am Zeug flickten. Seit dem Westfälischen Frieden, der 1648 die Zeit der Religionskonflikte in der staatsrechtlichen Theorie zum Abschluss brachte, saßen ein siegreicher Katholizismus auf der Oberpfälzer Seite und das Luthertum im markgräflichen Territorium bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hinein fest im Sattel. Die Grenze zwischen den Machtblöcken der Religion verlief nun aber vor Ort deutlich betont an den Rändern der Pfarrei Lindenhardt.
Dabei hatten sich die Ritter Groß von Trockau, denen im Unterschied zu ihren Untertanen die religiöse Selbstbestimmung zustand, spätestens seit den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts für die lutherische Variante der beiden protestantischen Hauptkonfessionen entschieden. Dies weist der Autor beispielsweise an Hand hinterlassener steinerner Inschriften der Adligen nach. Die Groß v. Trockau zu Trockau behielten die lutherische Konfession bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts bei. Erst seit um 1664 der letzte Groß’sche Linienvertreter zu Trockau zum Katholizismus konvertiert war, verkümmerte die rund 135-jährige lutherische konfessionelle Gemeinschaft zwischen der nördlichen Hälfte des Dorfes Trockau einschließlich des halben Schlosses, wo aus Gründen der Symbolik auf dem Küchenherd ein Grenzstein eingemauert gewesen sein soll, und dem Marktort Lindenhardt. Übrig blieben einige nach dem Parochialrecht auch weiterhin zu pastorisierende lutherische Untertanen, die nach einer Zählung von 1722 mit 16 Familien von 160 Häusern in der gesamten Pfarrei den historischen Status quo aufrecht erhielten.
Das Problem der Konfession verengte sich somit auf die Erhaltung des Bestehenden. Ob und wie sehr es noch eine Angelegenheit des Gewissens war, lässt sich für Bacigalupo kaum beantworten, da heranzuziehende auch private Quellen, die darüber Auskunft geben könnten, nicht vorhanden sind. Wir sehen nur die harten Auseinandersetzungen im Namen des Pfarr-Rechts, die von den evangelischen Pfarrstelleninhabern geführt werden mussten, wollten sie nicht zusammen mit ihren Familien wirtschaftlich ruiniert werden. Ein idyllisches Bild von der pfarrherrlichen Wirklichkeit im Lindenhardt der „guten alten Zeit“ zeichnet Bacigalupo also nicht.
Das fast ausschließliche Naturaleinkommen auf dieser Stelle mit dem Risiko von Missernten musste erst zu Geld gemacht werden. Die Zuständigkeit für Bau und Unterhalt des Pfarrhauses war seit Beginn der reformatorischen Umwälzungen noch lange Zeit ungeklärt, der in den Pfarrershaushalt eingeschlossene Kaplan hatte Anspruch auf Verköstigung und etwas Bargeld von seinem Pfarrer.
Der Autor registriert auch die geldwerten Rechte des Ortspfarrers in seiner teilweise grundherrlichen Rolle als untere Gerichtsinstanz in eng umschriebenen Sittlichkeitsfällen. Auch sie trugen zur Finanzierung seines Überlebens und damit seines Arbeitserfolgs als Geistlicher bei. Ob Bacigalupo dabei als destruktiv zu bewertende Phänomene in der Gemeinde überzeichnet, welche die handelnden Personen ihrem gesellschaftlich scheinbar unerbittlich vorbestimmten Schicksal nicht entkommen ließen und Elend stets neu produzierten, mag der mitfühlende Leser beurteilen.
Am Ende der an einigen Stellen auch das Kuriose, Erheiternde, Groteske, ja Bigotte als Denkanstoß nutzenden Aufbereitung der handschriftlichen Quellen hat Bacigalupo noch einen frommen Kontrapunkt aufzubieten: die schon seit dem späten 18. Jahrhundert zu registrierende besondere Aktivität um den Lindenhardter Altar, wie sie zum einen von den zur „verlassenen Muttergottes“ wallfahrenden Katholiken der Umgebung ausging, zum anderen vom diesbezüglichen Abwehrgebaren der für das Herzstück des Gotteshauses Verantwortlichen.
Interessanterweise zeichnet sich hier mit der zunehmenden touristischen Erschließung des historischen Areals eine evangelische Umnutzung des urkatholischen Wallfahrtsgedankens als Pilger-Aktivität ab, mit der sich ausgewählte Sinnbotschaften transportieren lassen. So führt auch dieses „wahre Leseabenteuer“, das dem Publikum auf der Rückseite des Einbandes verheißen wird, insgesamt erst recht nach Lindenhardt als einem der 111 Punkte in und um Bayreuth, die man nach Meinung eines neuen Kulturführers gesehen haben muss. Und der Lindenhardter Altar ist eindeutig nicht von Grünewald, sondern von Hans von Kulmbach, einem Schüler Dürers, sagt Bacigalupo.
Info:
Das Buch ist im Bürgerbüro des Rathauses Creußen und bei Schreibwaren Reiß in Creußen erhältlich, oder überall im Buchhandel für 14,80 Euro. ISBN 978-3-7896-1702-7
Der Altar der Kirche in Lindenhardt in der Fränkischen Schweiz